Lettlandreise mit Rotary

Der Rotaryclub Immenstadt-Oberstaufen lud ein, Franz Meier organisierte.
Ein Bericht von Karl-August Leopolder
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Flughafen München
Am Samstag, 5.6.20 04 fuhren wir in einem kleinen Bus nach München, Jause am Ammersee, dann Airport Müchen das übliche Einchecken und Flug nach Riga. Insgesamt etwa 20 Personen, davon 6 vom RC Oberstdorf. Mit dem Bus abgeholt und ins Hotel Metropole gebracht. Es liegt am Bahnhof und den Markthallen zentral; alte Pracht, sehr vernünftig renoviert. In jedem Zimmer ein von der Wand abklappbares Bügelbrett und ein fest angeschlossenes Bügeleisen. Alle Waschbecken ohne Stöpsel oder versenkbarem Verschluss.

Blick vom Hotel auf den Bahnhof
Abends mit Juris, unserer lettischen Reisebegleiterin und Franz Meier Bummel in die Altstadt. Bier mit geröstetem Knoblauch-schwarzbrot im Freien unter Schirmen. Stadt voll bummelnder Menschen. Flanieren mit den teuersten deutschen Autos. Und auf einmal war es zwei Uhr.....

Das Land ist in weiten Teilen brettleben, 39% Wald, viele Seen. Grosse Flächen unbewirtschaftet. Abseits liegen verfallende ehemalige Kolchosen.

Altstadt von Riga
Die Hälfte der Bevölkerung Lettlands lebt in Riga. Dank der örtlichen Kontakte über Rotary kamen wir, anders als bei den üblichen Busreisen, in Kontakt und aufgeschlossene Gespräche mit der Bevölkerung.
Was wir nicht sahen, waren die in der russischen Besetzung aus dem Boden gestampften Plattenbausiedlungen, in denen heute fast nur Russen leben, die auch nach 50 Jahren nicht lettisch sprechen, lesen oder schreiben können und auch deshalb nicht die lettische Staatsangehörigkeit bekommen können. Russen dürfen erst nach der Einbürgerung (Sprachtest!) wählen. Russinnen, die einen Letten heiraten, gelten als eingebürgert.

Schwarzhäupterhaus mit St. Peter
Sonntag 6.6.: Stadtführung mit interessanten Geschichtsabrissen, dabei Fahrt mit dem neuen Aufzug auf den hohen Kirchturm von St.Petri; das war der ursprünglich in Schiffbautechnik errichtete höchste Holzturm der Welt. Jetzt aus Sicherheitsgründen in Metallkonstruktion wiederaufgebaut. Herrlicher Blick über die Stadt. Schönes, etwas kühles Wetter. In der zerstörten Stadt, die die Russen teilweise eingeebnet hatten, ein schwarzes Schuhschachtelgebäude auf Stelzen (Bei Paraden marschierten die Truppen unten durch) ursprünglich Heldenverehrungshalle der Sowjetarmee. Die Letten haben sie nicht abgerissen, sondern in ein Okkupationsmuseum umgewandelt.

Hausnummern
Die Hausnummernschilder nennen oben Strasse, dann Nummer und unten Besitzer. In der letzten Zeile Grundbuchnummer. Nach alten Fotos wiederaufgebaute Gebäudekomplexe. z.B. das Schwarzhäupterhaus (Zunftgebäude)16.-18. Jh.erbaut, gotische, manieristische und barocke Stilelemente; im 2 Weltkrieg schwer beschädigt, wie das Rathaus gegenüber, gesprengt und abgerissen. Zur 800 Jahrfeier 2002 orginalgetreu rekonstruiert – eine einmalige Leistung. Das Rathaus: alte Fassade, dahinter angebaut modernstes Verwaltungsgebäude. Stadtrundgang.

orthodoxe Kathedrale, Riga
Es gab keine Hassgesänge auf die Russen, das war eben so.... Nach dem Mittagessen (in einem Selbstbedienungslokal „Alus seta“ bei grosser Auswahl preiswert) Ruhepause im Hotel.

Jugenstilfassade. Architekt: Vater von Sergej Eisenstein
Gustav Hoch: soviel bin ich seit Jahren nicht mehr gelaufen.... Leo: was dammer jetz: jetz dammer die Fias weh! Abends Bummel in ein besseres Lokal mit interessanter Speisekarte: Gut gegessen, z.B. geräucherte Neunaugen, Rindsfilet in einer Hohlkugel aus fritierten Kartoffelfäden uvA.

Schloss Jaunmockas
Montag 7.6. Mit dem Bus, der uns für den Rest der Reise zur Verfügung stand, nach Schloss Jaunmockas (Neumocken) ,das auch mal der Familie Brenken gehört hat. (Familie Brenken ist mit meiner Frau verwandt) Ich habe beschlossen, dass es ab sofort der Stammsitz der Brenkens ist.

Blick in den Park
Um 1900 erbaut von Bürgermeister Rigas, (der hatte einst seine Kasse mit der der Stadt verwechselt...) dann wechselnde Besitzer, heute Hotel mit Tagungsräumen, Jagdmuseum. Wanderung durch einen Freiluft Kunstpark Pedvale in sehr grossem Gelände interessante Installationen, Riesenmobiles und Anderes schwer definierbares. Da standen z.B. farbig angemalte Findlinge, ein drei Meter grosses Sonnenrad auf einer Anhöhe, bewachsene Drahtkäfige , Karikaturen von Überwachungs-kameras an den Bäumen, ein an Seilen aufgehängtes Boot mit einer Fährmannpuppe uam.

Leo: Kunst ist nur dann Kunst, wenn sie erst nach Erklärung von Franz Meier als solche erkannt werden kann..... Mittagessen in kleinem Ausflugslokal mit Riesenspeisekarte.
Sabile (nördlichste Weinberge der Welt) , abwechslungsreiche Landschaft „kurländische Schweiz“ berühmte Sommerrodelbahn. Abends Treffen mit RC Kuldiga (früher Goldingen), Empfang im Bauernhof eines Clubfreundes und Totengedenken für einen kürzlich verstorbenen Rotarier: Jeder bekam während des Nachrufes und der Schweigeminute in einer Garage ein Teelicht in die Hand - sehr stimmungsvoll – dann Ämterübergabe an eine Rotarierin (Zahnärztin).

Blumenmarkt
Im Freien sitzend gab es Gegrilltes mit vielen Beilagen auf einer leicht abfallenden Wiese, die - frisch geschoren - zu einem kleinen See führte. Interessante Gespräche. Ich konnte mich länger mit einem Forstingenieur unterhalten, der von der Okkupationszeit und der Kultur Lettlands berichtete.
Die Sprache ist ein wenig langsam-traurig im Decrescendo und erinnert nur phonetisch an das ungarische, obwohl es mit dem finno-ugurischen (Estland) nichts zu tun hat. Litauen hat ähnliche Sprache, man kann als Lette manchmal etwas lesen, aber es hat andere Wortstämme.

Juwelierladen
Bummel über den kleinen Markt, Übernachtung in zwei Hotels, gut hergerichtet, aber höchst unscheinbar. Alle Lokale und andere Gebäude haben ziemlich dunkle Vorhänge, auch tagsüber. Ort verschlafen. Abends gab es in den angesteuerten Lokalen kein Bier mehr... Übrigens sind an allen Geschäften, Lokalen usw. gross die Öffnungszeiten angeschlagen.

Ostseeküste à la Caspar David Friedrich
Dienstag, 8.6: Stadtführung incl. Heimatmuseum Kuldiga und Besuch einer urtümlichen Handwebstube. An allen Parkplätzen im Land und auf Märkten reiches Angebot an Bernsteinschmuck, recht reell – die Mitfahrenden deckten sich ein.
Weiterfahrt nach Alsunga. Besichtigung in einem Kinderheim mit Waisenhaus und Tageskindergarten. Diese Einrichtung wird vom RC Oberstaufen-Immenstadt + vom RC Kuldiga gefördert: Neue, dichte Fenster, Ausbau der Wäscherei (Waisenkinder sind teilweise sehr gestört und benötigen bis zu zweimal täglich neue Bettwäsche!) Küchensanierung läuft. Die fünf grossen Südfensterelemente sind verrottet und können nicht mehr geöffnet werden, weil sie sonst auseinanderfallen. Lüften ist aber wegen Schwitzwasserbildung unbedingt nötig. Ein Element kostet etwa 850 € . Ich könnte mir vorstellen, dass unser Club auch mal eines stiften könnte.
Überwachung durch Rot. Sigi Geiser, ein Immenstädter Architekt, der oft dort ist, plant und koordiniert. Rührendes üppiges Essen und Dankesreden für uns alle. Die Leiterin und ihre Mitarbeiterinnen zeigten sich hochmotivert und aufopfernd im Umgang mit den teilweise sehr schwierigen Kindern und Jugendlichen.

Ritterspiele im Verlies
Danach fuhren wir an den Ostseestrand bei Jurkalne (Bild vorherige Seite), der an dieser Stelle wie Caspar David Friedrichs Cap Arkona auf Rügen aussah. Wetter kühl, windig, trocken. Danach Rückkehr und Besichtignug des neuen Kreiskrankenhauses in Kuldiga Für 40 T. Einwohner 120 Betten (in 1, 2, 5 Bettzimmern) modernst ausgerüstet, auf grossem Gelände zweistöckig gebaut. Nach einer Mittagsruhe Essen für alle im Hotel Jana Nams (in dem auch ich wohnte). Sehr umständlich und unbeholfen war der sehr freundliche Service. Exkneipe im Kellergewölbe ( Früher mal Gefängnis) des alten Rathauses.

Schloss Rundale
Mittwoch 9.6. Busfahrt zum Schloss Rundale (Ruhental). Handgewebte Seidentapeten in St Petersburg kürzlich nachgewebt ein Beischlafschloss. Herrliche Barockanlage mit Park, Bau mehrmals unterbrochen, z.B. durch den Tod der Zarin, die Gönnerin des Bauherren Biron war und ihn zum Herzog von Kurland ernnannte . Er wurde zun 22 Jahren Sibirien verurteilt, kehrte aber bald zurück und baute weiter, musste dann aber zugunsten seines Sohnes Peter auf alle Ämter verzichten. Er zog sich mit einer riesigen lebenslangen Rente auf seine schlesischen Güter zurück.

Seidentapeten in Rundale
Der Sohn wurde zum Herzog von Kurland ernannt. Der stellte den Bau wieder ein und baute sich in Jelgava einen Palast, nach dessen Ferigstellung er Rundale vollendete. Anlage jetzt mit enormem Aufwand wiederhergestellt.

Pylonbrücke bei Rundale

Fussgänger/Radlerbrücke in neuer Rohr- Spanntechnik)

Besichtigung einer Strassengrossbaustelle mit einer Leichtbeton Pylonbrücke neuester Bauart (Juris Rozitis, erster Praktikant, noch vom RC Oberstdorf, Fa.Geiger gefördert) Kreuzung und Überbrückung einer Europafernstrasse und Umgehung von Riga mit EU Mitteln . Neue Brückenbautechniken.

Fussgänger/Radlerbrücke in neuer Rohr- Spanntechnik)
Schloss Birini: Historizismus mit obligatem Storchennest, sehr aufwändig renoviert. Grosse Partys, Hochzeiten, Jubileen, Tagungs- und Kongresse. Auf Hotelbetrieb nur bedingt erpicht.Das Personal wird nur wenn benötigt bestellt.

Feuerwerk auf Schloss Birini
Alles andere machen Partydienste, Organisationsfirmen Grosszelte, Musicbands, ELA e.c. Perfekt). Es fand auch eine 200 Personen -Abendfete einer lettischen Bank („Fette Bank“) . in grossen Stil mit Feuerwerk statt. Bodyguards wie Kleiderschränke - Vorfahrt Jaguar bis Ferrari.....

Park bei Birini
Beim morgendliche Spaziergang im verwilderten Park suchte 20 Meter neben mir ein Storch seine Würmer. Im ganzen Land, in jedem Dorf, auch auf freiem Feld auf Schornsteinen, Strom- oder Telefonmasten Storchennester. Nach dem Pflügen pickten stellenweise 20 Störche einträchtig in den frischen Furchen.

Markt in Sigulda
Alle Schlösser und Kirchen waren während der langen russischen Besetzung als Getreidesilos, Kino, Theater- oder Konzertsäle benutzt worden, auch Tanzclubs waren darin untergebracht. Das meiste Mobiliar war verheizt worden...
Nach der russischen Besetzung glaubten diese, die Kultur gebracht zu haben, wurden aber bald stutzig, als sie den Alltag sahen. Das Land produzierte Lebensmittel im Überfluss, die Menschen waren dank ihres Fleisses reicher als die Russen, die neidisch wurden. St Petersburg und Moskau wurden von dort mit Obst und Frischgemüse beliefert.

Brauereiexperten
Donnerstag 10.6. Busfahrtnach Jaunipiebalga (Neupelbalg) vorbei am lettischen Skigebiet mit Rodelbahn und Skilift. Mehrere Monate Temperaturen Minus 10 bis 20 Grad, der Schnee ist nicht hoch, hält aber lange. Brauerei seit 1989.
Die Braumeisterin hat von Rotary ein Praktikum in Meckatz vermittelt bekommen und wurde auch sonst mit betreut. Sie stellen vor Ort 5 Biersorten ohne Konservierung her, eines ist nach dem Baron von Münchhausen benannt. Der war im Dienst des Zaren, auch dort verheiratet. Demnächst versuchen sie Weizen zu brauen (in Lettland wird schon sehr lange Weizen gebraut). Sie sind eine relativ kleine Nischenbrauerei mit Spezialtäten, relativ teuere Produkte. Die ursprünglich russische Technik und Rezeptur wurde komplett mit deutschen Geräten und know how erneuert. Grosse Führung und Probe.

Holzhaus in Sigulda
Anschliessend, auf dem Weg zum Ratskeller, Besichtigung einer Kirche. Eine junge, bildschöne grossgewachsene Frau spielte Orgel. Zu unserer Überraschung begann sie mit einer vollausgebildeten Altstimme zum eigenen Orgelspiel zu singen. Teilweise eigene Kompositionen. Es war so ergreifend, dass uns die Tränen kamen. Die Stimme füllt den Raum so aus, dass wir nach den Lautsprechern suchten. Es waren keine da! Zum Schluss spielte sie mit unserem Organisten spontan zu vier Händen.

Holzhaus in Sigulda
In Sigulda Stadtführung. Schöne teils verrottete Holzhäuser. Kirchenbesichtigung. Die junge Führerin fragte, ob wir ein wenig Orgelmusik hören wollten? Wer spielt? Ich! Und sie spielte sehr schön.
Einer unserer Mitreisenden, ein Lehrer, hatte schon mehrfach in den Kirchen Orgel gespielt – so auch hier. Gang um eine vom Einsturz bedrohte Ordensritterburg, die noch zum Teil in Mauerresten erhalten ist. Sie wird jetzt gestüzt und gerettet, war gesperrt. Zu Ihren Füssen eine Open Air Bühne, auf der den Sommer über klassische, Jazzkonzerte, Opern und Ritterspiele aufgeführt werden.
Besuch der wieder aufgebauten Ritterburg von Turaida.
Auf der Rückfahrt in der „Hexenküche“ das für 22 Personen vorbestelltes Abendessen. Der Service war eine einzige Katstrophe. Auch auf lettisch befragt, war die Bedienung nicht in der Lage zu sagen, dass es nach den Vorpeisen noch zwei Gänge gäbe. Dann wurde als Auswahl Fisch oder Rindfleisch angeboten. Es waren aber nur vier Portionen Fisch da....Aber alle waren richtig satt, das Essen gut.
(Burtnek) Besichtigung eines Gestütes, mit etwa 200 Pferden. Das Pferd „Rusty“ der Springreiterin Ulla Salzgeber (mehrfache Deutsche- Europa- und Weltmeisterin) stammt von dort, es gehört aber dem Stall von Moksel, dem Schlachthofkönig. Wundervolle Pferde vorgeführt. Unser Freund Scholz erlebte dort seinen Höhepunkt und gab aus seiner Erfahrung als Reiter gute Zusatzkommentare. Das Gestüt kann Zeit nicht nach Deutschland liefern , da Transporter kaputt und kein Geld für neuen vorhanden ist. Die Mitarbeiterzahl wurde von 34 auf 17 reduziert....
Nach der Rückfahrt Abendessen mit lettischen Rotariern im Lido, ein 1000 Personen Vergnügungspark, irrer Krach. Übergabe von Geschenken (Bilder von Franz Meier und Urkunde an Franz). Gutes bis sehr gutes Essensangebot. Mit Gustav Hoch vorzeitig im Taxi heimgefahren, wurden vom Taxifahrer trotz heftiger Diskussion beschissen... Übernachtung im Hotel Metropol in Riga.

Samstag 11.6. 4:15 Wecken kleines Frühstück , Transfer zum Flughafen und Rückflug nach München.
Der Bus, der von Oberstaufen nach München und zurück den Transport übernahm, kostete genausoviel, wie der Bus in Lettland, der uns 5 Tage 1500 km durch das Land kutschierte. Erst jetzt merkten wir, was Franz Meier alles für uns erledigt hatte und wir zahlten gern die Umlage für Eintritte, gemeinsame Essen, Führungen etc. Insgesamt erlebten wir eine harmonische Bildungsreise, an der auch 5 Nichtrotarier teilnahmen, die sich sehr gut angenommen fühlten.

Letten reden oft von Lettland und über Europa als wären sie kein Teil davon. Die lange Trennung vom Rest der Welt hat das wohl bewirkt. Mehr Verständnis für Probleme der Baltikumstaaten und ihre speziellen Sorgen lhaben wir mitgenommen. Manche irrige Ansichten wurden korrigiert.

Unser herzlicher Dank geht an Franz Meier und seine Helfer!

leo 6/2004